Bestandssanierung im Kreislauf gedacht
Mit ca. 15 Milliarden Tonnen Material ist der deutsche Gebäudebestand ein riesiges Rohstofflager. Die konsequente Wiederverwendung der verbauten Ressourcen wäre ein wirksamer Hebel zur Senkung des Energieverbrauchs, CO2-Ausstoßes und Abfallaufkommens.
Theoretisch – denn die in Bestandsgebäuden verbauten Materialien wurden nicht für eine spätere Wiederverwendung konzipiert. Höchste Zeit, Bauen und Sanieren neu zu denken: weg von linearer Verschwendung hin zu zirkulärer Verwendung.
In der von Petra van der Wielen (Gebäudeforum klimaneutral) und Andrea Müller (Energiesprong) moderierten Kreativsession Kreislaufgerechte Gebäudesanierung – Rohstoffe intelligent einsetzen wurden an vier Thementischen unterschiedliche Aspekte der kreislauffähigen Bestandssanierung diskutiert.
Mehr Kreislauf-Know-how durch Wissenstransfer
Tisch 1, der von Ute Dechantsreiter, Gründerin des Bundesverbands Bauteilnetz Deutschland e.V., geleitet wurde, beschäftigte sich mit kreislauffähigen Baustoffen und Bauteilen. Nachhaltiges und kreislauffähiges Bauen beginnt mit der richtigen Materialauswahl und einer rückbaubaren Planung. Doch vielfach fehlt das Know-how, wie man den Rückbau bereits im Entwurf berücksichtigt und demontierbar baut. Hier muss ein Wissenstransfer auf breiter Ebene erfolgen. Garantien und Qualitätssiegel könnten dabei helfen, Vorurteile in Bezug auf Recycling-Baustoffe zu beseitigen. Paradoxerweise sind Recycling oder Wiederverwendung von Baustoffen derzeit noch kosten- und zeitintensiver als die Herstellung neuer Baustoffe. Um diesen Kostennachteil zu kompensieren, wäre ein Bonus für die Verwendung kreislauffähiger Baustoffe denkbar.
BIM als Zirkularitäts-Booster
Mit Andrea Müller und Timo Sengewald vom Energiesprong-Team als Impulsgebende ging es an Tisch 2 um die Frage, welches Kreislauf-Potenzial im seriellen Sanieren steckt. Kreislauffähigkeit ist im Energiesprong-Konzept noch kein Muss, perspektivisch aber ein großes Plus. Das nachhaltigste Material ist immer das, das gar nicht erst produziert werden muss. Insofern ist Bestandssanierung immer die ökologisch überlegene Alternative zum Neubau. Statt CO2- und energieintensiv hergestellter neuer Baumaterialien wird hier einen Großteil der bereits vorhandenen Materialien weiterverwendet. Die Entscheidung für eine serielle Sanierung ist somit die erste Weichenstellung in Richtung Kreislaufwirtschaft.
Die neuen vorfertigten Fassaden-, Dach- und Technikmodule können bereits heute nach zirkulären Prinzipien geplant werden. Sie sind dann sortenrein trennbar und dienen am Ende des Lebenszyklus als Materialdepot für neue serielle Sanierungsprojekte. Durch die Nutzung von BIM entlang der gesamten Wertschöpfungskette lassen sich im seriellen Sanierungsprozess zudem alle Informationen erfassen, die für die Erstellung eines Materialpasses notwendig sind: Herkunft, Qualität, CO2-Fußabdruck und auch die Nachnutzungsfähigkeit der verbauten Materialien.
Neue Perspektiven für Land- und Bauwirtschaft
Bas Spanjers von der ARGE Klimamoor diskutierte an Tisch 3 über die Entwicklung regionaler Wertschöpfungsketten für Bio-Baustoffe. Obwohl Moore mehr CO2 binden als Wälder wurden in Deutschland rund 95 Prozent der insgesamt 1,8 Millionen Hektar Moorflächen trockengelegt, um sie landwirtschaftlich zu nutzen. Der Haken an der Sache: Kommt Torf mit Sauerstoff in Berührung wird das vormals gebundene CO2 wieder freigesetzt. Etwa 53 Millionen Tonnen Treibhausgase entweichen in Deutschland jährlich aus trockengelegten Mooren. Nun sollen sie wieder vernässt werden und als CO2-Senke dienen.
Doch das ist nicht so einfach. Da Moore zumeist Teil landwirtschaftlich genutzter Flächen sind, kann die Rekultivierung nur gelingen, wenn den Landwirten durch den parallelen Anbau nachwachsender Rohstoffe eine wirtschaftlich attraktive, verlässlich planbare und möglichst unbürokratische zusätzliche Einnahmequelle eröffnet wird. Wie die Kooperation zwischen Land- und Bauwirtschaft gelingen kann, zeigt das Beispiel istraw. Im Rahmen eines Franchise-Modells bauen die Landwirte das Stroh für die biobasierten Bauplatten nicht nur an, sondern produzieren sie auch selbst. Die Herstellung erfolgt in regional verteilten Produktionsanlagen, die gemeinsam mit anderen Landwirten des Netzwerkes genutzt werden. Der Vertrieb wird zentral über istraw abgewickelt.
Nutzen statt besitzen
An Tisch 4 erörterten Dina Padalkina, Gründerin von Circular Berlin und Dr. José Mercado, Seniorexperte für Nachhaltiges Bauen bei der dena, welche zirkulären Geschäftsmodelle es bereits gibt und wie diese den Einsatz kreislauffähiger Baumaterialien fördern. Ein vielversprechender Denkansatz ist „nutzen statt besitzen“. Prinzipiell braucht niemand eine Solaranlage oder eine Wärmepumpe. Gebraucht wird lediglich der regenerative Strom bzw. die Heizenergie, die sie erzeugen. Der Kauf eines Produkts wird quasi durch den Kauf einer Dienstleistung ersetzt.
Mit dieser Strategie kann sichergestellt werden, dass Ressourcen am Ende des Lebenszyklus wieder in die Wertschöpfungskette zurückgeführt werden. Ein Ansatz, der sich angesichts immer knapper werdender natürlicher Ressourcen und stetig steigender Rohstoffpreise sowohl ökologisch als auch ökonomisch auszahlt. Laut Prognosen der Unternehmensberatung Roland Berger liegt das Marktpotenzial zirkulärer Geschäftsmodelle in der europäischen Immobilienwirtschaft bei 240 Milliarden Euro. Beste Voraussetzungen, um Business-Ideen rund um die kreislauffähige Bestandssanierung gedanklich zirkulieren zu lassen.